Warum eine ganzheitliche Gesundheit bereits im Mund beginnt und weshalb das Zahnfleisch mindestens genauso pflegebedürftig wie die Zähne ist.
Der Mund ist weit mehr, als nur die Eintrittspforte und der Ort des Geschmackserlebnis unserer Nahrung. Neben all den Leckereien, die unseren Mund so passieren, darf unser Immunsystem an dieser zentralen Stelle sicherlich nicht fehlen. Bereits in den letzten Artikeln hast Du erfahren, dass an allen (Schleimhaut-)Barrieren auch das Immunsystem vertreten ist. Hier treten wir in Kontakt mit unserer Außenwelt und filtern all die vielen Fremdkörper nach eigen oder fremd, nach energiereichen Stoffen oder Mikronährstoffen. Wie all die anderen Barrieren besitzt auch der Mundraum ein eigenes Mikrobiom. Hier finden sich synergistische Bakterien, die uns bei der Mundreinigung aktiv unterstützen. Genauso sammeln wir auch ungünstige „Mitbewohner“, die wir uns durch den Lebensstil und unsere Umwelt anzüchten. Wie wir unsere Mitbewohner im Gleichgewicht halten, warum der Speichel so unglaublich wichtig ist und wie eine gute Mundhygiene Dich langfristig gesund, hält erfährst Du in diesem Artikel.
Die meisten von uns kennen die Situation und bei Einigen Stellen sich schon bei dem Gedanken die Haare zu Berge: Die seit längerer Zeit anhaltenden Zahnschmerzen bestätigen sich bei der Zahnarzt-Kontrolluntersuchung als Karies. „Da hilft leider kein Ausharren, das müssen wir unmittelbar beheben!“ Um keine Traumata hervorzubringen, möchte ich auf die weitere Ausführung von Behandlungsgeräuschen und Sinneswahrnehmungen währenddessen lieber verzichten... ;-).
Zahlen und Fakten
Die Zahlen sprechen für sich: Im Zeitraum zwischen 1990-2015 haben sich weltweit die (dokumentierten) unbehandelten Fälle von Mundkrankheiten von 2,5 Milliarden auf 3,5 Milliarden Menschen gesteigert (Kassebaum et al., 2017). Damit zählt dies weltweit zu den am häufigsten auftretende, chronisch nicht übertragbare Krankheiten. Natürlich ist die Weltbevölkerung in diesem Zeitraum auch ein gutes Stück gewachsen. Dennoch ist die finanzielle Belastung enorm: 2010 lagen die Kosten für Karies, Paradontitis und Zahnverlust bei geschätzten 172 Milliarden US-Dollars. In Deutschland beliefen sich die Kosten pro Jahr und pro Kopf im Schnitt auf 210 Euro (Meier et al., 2017).
Nach der fünften deutschen Mundgesundheitsstudie zeigt sich jedoch ein positiver Trend: Über 80% der 12-jährigen sind heute kariesfrei, die Zahl der kariesfreien Gebisse hat sich im Zeitraum von 1997-2014 verdoppelt (IDZ, 2014). Bei Erwachsenen und Senioren geht die Anzahl an karies-behandelten Zähnen ebenfalls zurück, befindet sich jedoch noch immer im zweistelligen Prozentbereich.
Warum es so wichtig ist, präventiv zu handeln
Leider – wie bei so vielen Themen – stehen bei unbehandelten Mundkrankheiten die Bildung, der Zugang zum Gesundheitssystem und die Armut sehr eng in Verbindung.
Daher gilt es auch hier weiterhin viel Aufklärung zu betreiben, da der Einfluss der Mundhygiene auf den gesamten Organismus weitaus größer ist, als die meisten Menschen vermuten.
Hier ein paar Fakten und Gründe, warum es für Dich sinnvoll ist, präventiv für einen rundum gesunden Mund zu sorgen:
Zähne wachsen nicht nach!
So simpel dieser Punkt auch sein mag, so weitreichend sind seine Folgen. Die Zähne, der Zahnhalteapparat und die Kaumuskulatur sind für uns im wahrsten Sinne des Wortes essenziel. Zum Glück sind wir in der Medizintechnik schon ein gutes Stück weiter, was den Zahnersatz betrifft. Doch das kostet seinen Preis.
Zahnersatzkosten sind enorm!
Womit wir bereits bei dem nächsten Punkt sind. Ein durchschnittlicher Zahnersatz (z.B. Krone) kostet 600-4.000€ (zum Teil durch Krankenkassen übernommen). Ganze Zahnimplantate können ca. 1400€ kosten (oft Privatleistungen). Folglich kostet der Ersatz eines gesamten Gebisses eine beachtliche Summe.
Zahnfleischrückgang ist schwer reversibel (je nach Stadium)
Das Zahnfleisch schützt und stabilisiert den Zahnhals. Wenn es entzündet ist oder das Zahnfleisch sich aufgrund beispielweise zu "festes Drücken" beim Zähneputzen zurückzieht, baut entsprechend auch seine Funktion zunehmend ab.
Der Mundraum als Ursprung für weiterführende Beschwerden
Der Mundraum ist durch seine Funktion als Barriere zu unserer Innenwelt auch in direktem Kontakt zu unserer Außenwelt. Wie bei allen anderen Barrieren unseres Körpers spielt auch hier das Immunsystem in der Schleimhaut eine zentrale Rolle. Wenn die Funktionsweise durch ungelöste entzündliche Prozesse oder durch eine ungünstige Mundflora (Mikrobiom) gestört ist, könnte es u.a. für Pathogene der Umwelt einfacher sein, in unser Inneres vorzudringen. Auch die Speichelfunktion zur Verdauung der Mahlzeiten kann sich verändern, was den Verdauungsprozess an sich beeinflussen kann.
Ein bisschen Physiologie
Um mehr über die Funktionsweise des „Kauapparates“ zu erfahren, lohnt es sich, mit Blick der PNI auf die evolutionären Entwicklungsgründe zu schauen. Lass uns mal eben 500 Millionen Jahre in der Zeit zurückreisen. Im Zeitalter des Kambriums entwickelte sich so einiges an Artenreichtum auf unserem Planeten. Doch zuerst spielte sich das Leben unter Wasser ab. Die sogenannten Placodermi (Panzerfische) waren einer der ersten Wirbeltiere, die Kiefer entwickelten. Einer Theorie zu Folge nutzten sie ihre Vorläufer-Zähne jedoch nicht zur Zerkleinerung der Nahrung, sondern zu Fortpflanzungszwecken. So konnten die männlichen Vertreter sich zur Fortpflanzung an das Weibchen klammern. Im weiteren Verlauf der Evolution waren Zähne natürlich auch eine Waffe und hilfreich bei der Zerkleinerung der Nahrung. Hierbei hat sich natürlich die Kaumuskulatur enorm weiterentwickelt und zu einen kräftigen Biss beigetragen. Der Muskulus Maseter ist tatsächlich unser kräftigster Muskel im gesamten Körper, in Abhängigkeit von Hebelkraft und seiner Größe.
Ein weiteres wichtiges Element ist der Speichel. Neben seiner vor-verdauenden Funktion der Kohlenhydrate, besitzt der Speichel auch eine schützende Funktion (humorale Komponente) durch die beiden Substanzen Lysozym und Lactoferrin. Diese machen den Keimen „den Garaus“. Der kontinuierliche Speichelfluss sorgt ebenfalls dafür, dass Erreger nicht allzu lange im Mundraum verweilen können und weiter im sauren Magen abgetötet werden können. Gesteuert wird der Speichelfluss durch das autonome Nervensystem. Wir sind folglich nicht in der Lage, diesen Prozess bewusst zu unterdrücken oder zu verstärken. Er passt sich jedoch automatisch an unseren aktuellen Zustand an: Sind wir entspannt, riechen etwas Gutes zu essen oder sind einfach sehr hungrig, verstärkt sich der Speichelfluss. Sind wir in einer stressigen Situation, in der es absolut keinen Sinn macht uns mit Essen zu beschäftigen, nimmt der Speichelfluss ab und der Mundraum wird trockner.
Das Zahnfleisch hat auch eine extrem wichtige Eigenschaft: Es hält unsere Zähne fest. Zahnfleisch kann sich nur schwer wieder aufbauen und ab einem bestimmten Stadium vom Zahnfleischrückgang ist es kaum mehr reversibel. Dies kann die Barriere schädigen und im Ernstfall die Zahnhälse/wurzeln freilegen. Dies kann Infektionen, weitere Entzündungen und Zahnverlust nach sich ziehen.
Was beeinflusst die Funktionen?
Du siehst, einiges zu tun für unsere Mitbewohner und Zellen im Mundraum. Was beeinflusst nun die Funktion von Zahn, Zahnfleisch, Mikrobiom und Immunsystem?
Beispiele:
Externe Faktoren:
Amalgamfüllungen
Wurzelbehandlungen und der in Folge nicht geheilten Wunde
Umweltfaktoren (Rauchen, Ernährung, Luftverschmutzung, etc.)
Interne Faktoren:
Stress
Mangelhafte Nährstoffversorgung
Emotionen
Was sind Zeichen wenn die Mundbarriere offen ist oder das Mundmilieu nicht stimmt?
Bluten beim Benutzen von Zahnseide
Zahnfleischrückgang/Zahnfleischtassen (--> durch das tägliche Nutzen von Zahnseide kann man das Zahnfleisch wieder stärken)
Verfärbungen/Plaque
Karies
Paradontitis/Gingivitis
Wie könnte unser tägliches Mund-Workout ausschauen?
Mundhygiene Plan
Öl ziehen (1 TL Kokosöl 2-5min durch die Zähne ziehen und anschließend ausspucken)
Zähneputzen
Reinigung der Zahnzwischenräume mit Interdentalbürsten und Zahnseide (--> durch das tägliche Nutzen von Zahnseide kann man das Zahnfleisch wieder stärken)
Zahnreinigung 1x pro jahr
Ausgewogene Ernährung mit wenig einfachen und raffinierten Kohlehydraten, keine gesüßten Getränke
Des Weiteren bedarf es individuelle Lösungen - je nach gegebener Situation.
Notiz:
Die Inhalte sind auf das essenziellste Fachwissen reduziert und an einigen Stellen verkürzt, da dies sonst den Beitrag an Fülle sprengen würde. Für tiefergehendes Wissen gebe ich gerne persönliche Literaturempfehlungen auf Anfrage.
Quellen:
Kassebaum NJ, Smith AGC, Bernabé E, et al. Global, Regional, and National Prevalence, Incidence, and Disability-Adjusted Life Years for Oral Conditions for 195 Countries, 1990–2015: A Systematic Analysis for the Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors. Journal of Dental Research. 2017;96(4):380
387.
Meier T, Deumelandt P, Christen O, Stangl GI, Riedel K, Langer M. Global Burden of Sugar-Related Dental Diseases in 168 Countries and Corresponding Health Care Costs. Journal of Dental Research. 2017;96(8):845-854.
Institut der Deutschen Zahnärzte. Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie, 2014.
Schwegler, J. & Lucius, R. (2016). Der Mensch. Anatomie und Physiologie (6. Auflage).
https://www.allianz.de/gesundheit/zahnzusatzversicherung/zahnersatz-kosten/